Von Monstern und Drachen

Wahrscheinlich geht es vielen von Euch ähnlich: Man kann nicht mehr ganz so einfach einkaufen, ist viel zuhause und kommt auf tolle Ideen, was man in der Küche zaubern kann. Wir liegen hier in Green Island, weit weg von der Zivilisation. Das ist gut, denn keiner kümmert sich so richtig um den Lockdown und das ist nicht gut, weil wir hier nicht einkaufen können. Also haben wir gebunkert, was man bunkern kann und uns ein Küchenmonster zugelegt. Das Küchenmonster will jeden morgen gefüttert werden und dankt es einem mit Wachstum und Fermentierung. Die Rede ist von der sogenannten „Mutter“, einer Hefekultur, die in unserem Kühlschrank lebt. Den Namen verdankt es seinem Einzug bei uns: Collin, der Skipper des Nachbarbootes und in seinem häuslichen Leben Koch war so nett, seine Mutter mit mir zu teilen. Diese weilt seit ca. 8 Monaten bei ihnen und wurde in Rom angesetzt. Er hatte meinen Teil der Mutter noch einmal gut gefüttert, damit sie einen guten Start hat was dazu führte, dass mein Schraubglas fast explodiert wäre, als es bei uns an Bord war.  Die Monstermasse quoll durch den nur leicht verschlossenen Deckel, der sich nicht mehr öffnen lies. Ich habe hektisch Löcher in den Deckel geschlagen, was zu einer Hefefontäne im Cockpit führte. Die überquellende Masse verteilte ich auf zwei Gläser und nun füttere ich jeden Tag „Hulk“ und „Bibo“, unsere Hefemonster. Die beiden leisten uns daraufhin gute Dienste. Ich habe inzwischen mehrfach Brot gebacken, Baguette, Brötchen, Zimtschnecken und als zwischenzeitliche Krönung einen mit Creme Brûlée gefüllten Streuselkuchen.

Es klappt gut, wenn ich dem Monster genug Zeit gebe. Statt 30 Minuten ziehen lassen gerne 90 Minuten und schon geht der Teig super auf und schmeckt klasse. Nicht so gut klappt es, wenn ich zwischen den Arbeitsgängen versuche, den Drachen zu bändigen. Das Hefemonster will Aufmerksamkeit und 3h ziehen lassen führt dazu, dass der Teig am Ende wieder einfällt – nicht gut. Diesmal ist der Drachen übrigens nicht der Parasailor, der sein Dasein repariert in der Segelkiste fristet sondern ein Kite. Wir liegen hier in einem bekannten Kitesurf Spot, durch ein Riff geschützt kommen Wellen nicht in die Bucht, der Wind wird aber hineingelassen. Es gibt einen kleinen Strand, an dem wir unerlaubter Weise unsere Drachen aufbauen und Starten. Schön ist, dass wir uns alle zu einer kleinen Kitesurf Anfängergemeinschaft zusammengefunden haben. Neben Enno und mir sind das Nathan und Wyatt (SY Moonfleet), Colling (SY Recipe) sowie seid gestern auch Emily und Everett (die Kinder von den gleichen Booten). Wir unterstützen uns gegenseitig, wenn einer sein Bord verliert, bringen uns zurück, nach dem (bisher) unvermeidlichen Abtreiben und reparieren gemeinsam die geschundenen Drachen. Ich erinnere mich an meine Schulzeit, in wir gemeinsam Windsurfen waren. Das macht Spaß und wir freuen uns miteinander, wenn wir Fortschritte machen. Ok, zugegeben, ein bisschen Vergleich ist auch dabei aber die gemeinsame Freud überwiegt. Inzwischen können wir alle die Höhe halten und schaffen es, am gleichen Strand wieder anzulegen, an dem wir losgefahren sind! Das ist ein großer Schritt für uns und zumindest für mich hat es bis dahin einige Blessuren gekostet. Das Problem ist nämlich, dass man dicht an Booten vorbeifahren muss und wenn man im falschen Moment einen Fehler macht geht’s übel aus. So musste ich vorgestern meinen Kite aus dem Rigg eines deutschen Katamarans pulen, was Rigg und Kite glücklicherweise unbeschadet überlebt hatten. Dieser freundliche Landsmann hat mich allerdings 30 Minuten lang angeschrien, was mir etwas unverhältnismäßig vorkam. Seine Frau ermahnte mich, nicht hinzuhören und tatsächlich hat er sich irgendwann wieder beruhigt.

Enno hat sich leider frühzeitig aus unserer Anfängergemeinschaft entfernt und während wir uns noch gegenseitig im Nichtschwimmerbecken aus fremden Booten retten übt Enno Sprünge im tiefen Wasser (dort, wo die Profikiter rumfahren). Er würde bestimmt schon Loopings fliegen, wären nicht die Töchter des Nachbarbootes noch interessanter als das Kiten.

Enno lässt also ganze Kitetage aus und gibt uns so die Chance, Millimeterweise aufzuholen… . Wir machen allenfalls Pause, wenn wir a) einen Hangover haben (kommt regelmäßig vor nach Feiern auf Recipe), b) wir keinen Wind haben oder c) wir unserem zweitliebsten Hobby nachgehen: Kite reparieren. Ja, irgendwie halten die Dinger nicht. Wahrscheinlich liegt es an der karibischen Sonne. Insbesondere die Ventile halten nicht auf den Kiteschläuchen. Ich habe unsere 7 Ventile inzwischen 11x mal neu geklebt (!!) und mehrere Löcher geflickt. Das Ergebnis ist nun, dass der Kite ca. 1h gut die Luft hält, dann braucht er die Pumpe. Das ist ja jetzt kein Problem mehr, da ich ja einfach wieder an den Strand fahren kann (nun ja, gestern brauchte ich vier Anläufe, bis ich den Kite einigermaßen kontrolliert in Ennos Arme fallen lassen konnte…). Ich dachte, dass wir einfach Pech hatten und unser 2nd Hand Kite-Schnäppchen vielleicht doch keines war. Nachdem aber Collins neuer Kite nach dem 2. Gebrauch ebenfalls Luft durch das Ventil verlor und Nathan, der inzwischen fünf Kites gekauft hat, 2 dauerhaft in der Werkstatt hat bin ich davon überzeugt, dass die Dinger einfach empfindlich sind. Aber ab und zu ein Tag Repair-Pause ist ja auch nicht schlecht. Mein Held ist übrigens Gary: Gary fährt am Profistrand, läuft wunderbar Höhe und macht kleine Sprünge. Andere springen viel höher aber Gary ist 81 Jahre alt und hat zwei künstliche Knie! Mit dem Kitesurfen hat er im Alter von 74 angefangen. Da bin ich mit meinen 52 ein Küken und meine leichten Knieprobleme sind Kinderkram! (Meine stets um mein Knie besorgte Mutter wird sich freuen, das zu lesen 😊). Auf jeden Fall hat der Sport vielleicht doch eine Zukunft für mich, wenn ich versuche den Kite auch als Entlastung der Gelenke einzusetzen – immerhin zieht er ja auch nach oben!

Jetzt habe ich ausschweifend von Monstern und Drachen geschrieben und ihr könnt daran sehen, wie sehr wir es genießen, uns mit einfachen Dingen zu beschäftigen und Zeit zu haben. Ich werde mich nun meinem heutigen Experiment widmen: Bananenpizza. Dann ist auch das Mehl alle und wir müssen uns in Richtung einer Bucht verholen, in der man auch wieder einkaufen kann. Ach ja, die 5kg Mehl habe ich nicht allein verbraucht: Enno ist inzwischen nicht zur zum Kite-sondern auch zum Crêpes-Master avanciert. So überrascht er Nachbarboote mit spontanen Crepes-angeboten (meist süß) und erfreut uns mit herzhaften Käse-Bacon-Crepes zum Frühstück!

3 Antworten auf „Von Monstern und Drachen“

  1. Lieber Martin,
    hört sich an, als ob Ihr eine echte italienische Lievito madre habt. Klasse! Letztes Jahr habe ich verzweifelt versucht, eine selbst zu herzustellen oder zu besorgen, was mir aber beides nicht gelungen ist. Wenn wir uns noch mal sehen, bin ich gerne bereit, eines der kleinen Monster zu übernehmen. 🙂
    Voller Bewunderung lese ich immer, wie aktiv Ihr seid, so mit jeden Tag Yoga und Kiten und so. Tatsächlich habe ich mich durch Euer Vorbild nun motivieren lassen, morgens am Strand zumindest ein paar Sonnengrüße zu machen und nicht nur Kaffee zu trinken. Fühlt sich gut an. Danke.
    Ganz liebe Grüße von der SY SAI MANGALAM
    (z.Zt. ohne Rigg 🙁 )
    Helga

  2. Lieber Martin, liebe Crew,
    kiten, kochen und backen: Ich bin begeistert von diesen Erzählungen aus der weiten Welt. Ich hoffe, doch sehr, ihr macht daraus eine spannendes Reisebuch mit vielen Bildern?
    Es ist nicht ganz einfach, ein gutes Video von den Wasserabenteuern zu machen, aber es macht das Kiten für die die fernen Beobachter sehr anschaulich. Es war vorsorglich, dass Enno mit den blauen Haaren die Erkennung so wesentlich gefördert hat.
    Eure Backwaren sind beneidenswert…..
    Liebe Grüße aus dem zugebundenen Berlin!
    Große Neuigkeit: Die Oberen haben entdeckt, dass der Virus nicht flächendeckend gleichmäßig wütet. So sagt Mecklenburg-Vorpommern: Bei uns ist fast nichts und wir brauchen die Sommergäste. Ab 24.5. dürfen wir – die deutschen Staatsbürger – wieder nach Mecklenburg-Vorpommern reisen!!!
    Demnächst erden wir also eine fröhliche Landkarte mit Bundesländern, Landkreisen und Städten, Gemeinden haben, wo unterschiedliche Regeln gelten. Alles besser als der Jetztzustand.
    Alles Gute für Euch und bitte schreiben, fotografieren, videographieren…..
    Euer Vater. Schwiegervater und Opa

  3. Hallo Freunde!

    Schön zu sehen, dass es Euch gut geht.

    Vielleicht machen wir das nächste Mal, alle zusammen, einen Kiteurlaub 🤗

    Respekt ihr Proll….äh….Pro‘s 👍

    Ach ja Enno!
    Kiten kann man , wie du siehst, auch noch im hohen Alter, das läuft einem nicht weg.
    Aber die Mädels tun es 😂👍

    Herzliche Grüsse, Peter

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